Nanga Parbat 8.125 m

 

Der Nanga Parbat ist mit 8.125 m der neunthöchste Berg der Erde und der westlichste 8.000er. Seine eisgepanzerte Diamirflanke ist mit fast 4.000 m eine der höchsten Steilwände der Welt. Sie umschließt hufeisenförmig ein riesiges Gletscherbecken und bildet nach Westen hin den Abschluss des Himalayas.

Vor allem in Deutschland ist der Nanga Parbat der bekannteste aller 8.000er. Dies deshalb, weil allein in den 30er Jahren sechs deutsche Expeditionen mit großem Einsatz und viel Mut verbissen um den ersten Gipfelerfolg gekämpft haben. Viele Bergsteiger und Träger fanden in den orkanartigen Stürmen und riesigen Lawinen den Tod, darunter auch ein Ulmer, der unvergessene Uli Wieland. Nicht zuletzt wegen der tragisch verlaufenen deutschen Expeditionen nennt man den Nanga Parbat "Schicksalsberg der Deutschen". Erst im Jahr 1953 gelang dem legendären Hermann Buhl im Rahmen einer von Dr. Herrligkoffer organisierten Expedition die Erstbesteigung, bis 1962 die Deutschen Kinshofer, Mannhardt und Löw erstmals die Diamirflanke durchstiegen haben. Letzterer ist beim Abstieg ums Leben gekommen.

Die Besteigung des Nanga Parbat über die Diamirflanke war auch Ziel einer vom Schweizer Stefan Wörner geleiteten Expedition, an der u.a. Sigi Hupfauer und ich im Mai/Juni des Jahres 1985 teilgenommen haben.

Am 14. Mai fahren wir kurz nach Mitternacht in Islamabad, der Hauptstadt Pakistan, mit einem Bus und einem Lkw los. Fast 12 Stunden dauert die Fahrt auf dem Karakorum Highway, der viel schlaglochträchtiger ist, als der hochtrabende Name verspricht, bis wir den kleinen Ort Chilas erreichen. Jetzt trennen uns nur noch einige Kilometer von unserem Ausgangspunkt, der Bunar-Brücke. Bei der örtlichen Behörde, wo wir uns melden müssen, wird uns berichtet, dass im Diamirtal und in den umliegenden Tälern seit einiger Zeit persönliche und auch politische Streitigkeiten von den Bewohnern recht häufig mit dem Gewehr ausgetragen werden. Obgleich wir während des viertägigen Anmarschs, der uns von einer Höhe von 1.100 m bis auf ca. 4.000 m führt, sehr viele mit Karabienern bewaffnete Einheimische sehen, kommen wir unversehrt im Basislager an. Während des Anmarschs gab es die üblichen Querelen, doch keine ungewöhnlichen Schwierigkeiten. Das Wetter war ausgesprochen gut.

Schon am Morgen nach unserer Ankunft im Basislager informiert unser Verbindungsoffizier den Expeditionsleiter, dass er uns aus gesundheitlichen Gründen verlassen und nach Islamabad zurückkehren müsse. Obwohl er bei der Abreise noch erklärt hatte, der Nanga Parbat sei für ihn kein Problem, ist es ihm mit fortschreitender Dauer des Anmarsches immer schlechter gegangen; er war schwer höhenkrank.

Am 20. Mai gehen wir erstmals los, um den Weg zum Lager I zu erkunden. Der Schnee ist sehr weich. Unzählige Male brechen wir ein. Immer wieder wollen wir umkehren, um die Plage zu beenden, aber letztlich erreichen wir auf ca. 5.000 m unser angestrebtes Ziel, einen riesigen Felssporn, der Schutz vor Lawinen und Eisschlag verspricht. Wir machen ein Depot und kehren ins Basislager zurück.

Am nächsten Morgen steigen wir zu unserem Depot auf. Wir wollen heute die Zelte aufstellen. Zunächst gilt es im steilen Firn eine Plattform zu schaffen. Während wir schuften, kommen Teilnehmer einer japanischen Expedition. Sie wollen ihr Lager am gleichen Platz errichten. Wir machen gemeinsame Sache und helfen uns gegenseitig. Erstmals übernachten wir am 23. Mai im Lager I.

Vor uns liegt die sogenannte Löw-Eisrinne, benannt nach dem bei der Erstdurchsteigung ums Leben gekommenen Bergsteiger. Sie ist gute 1.000 m hoch und wird in Steilheit und Schwierigkeit mit der anspruchsvollen Ortler-Nordwand verglichen. Der untere Teil wird von einem auffallend dreieckigen Eisabbruch bedroht, von dem im weiteren Verlauf viel Gefahr ausgeht. Ob das nur dieses Jahr so ist? Andere Begeher haben nichts oder nur wenig davon berichtet.

Schwer bepackt mit Seilen, Eishaken und Firnankern verlassen wir Lager I. Wir steigen zunächst etwa 400 m bis zum sogenannten Felseck auf. Dort deponieren wir unsere Lasten. Bis hierher sind, um die Route zu entschärfen, etwa 550 m Fixseile erforderlich. Wir haben mit den Japanern abgesprochen, dass dieses Stück von ihnen und der darüber liegende Teil von uns versichert wird.

Am nächsten Tag, den ich in meinen Aufzeichnungen "Eislawinentag" genannt habe, steigen wir zu sechst wieder in die Löw-Eisrinne ein. Schon vor Erreichen des Felsecks löst sich aus dem links über uns liegenden Eisabbruch eine Eislawine. Wir spurten, so schnell wir können, nach rechts und entgehen den todbringenden Eismassen.

Als wir oberhalb des Gefahrenbereichs sind, lösen sich zwei weitere Eislawinen, die bis in die Nähe unserer Aufstiegsspur gehen. Zwei unserer Kameraden treten daraufhin entnervt den Rückzug ins Lager an. Wir machen noch einige Stunden weiter und erreichen eine Höhe von ca. 6.000 m. Gegen Ende unserer Arbeit löst sich die vierte und bisher größte Eislawine. Die unermesslichen Eismassen stürzen voll über unsere Spur und wenige Meter am Lager I vorbei, bis tief hinunter auf den flacheren Teil des Gletschers. Zwei Japaner waren zu diesem Zeitpunkt unterwegs. Der Eisstrom erfasst sie zum Glück nur noch im Auslauf. Sie kommen mit dem Schrecken davon.

Nach der Löw-Eisrinne kommt ein ca. 200 hoher Felsgürtel, der "Kinshofer-Mauer" genannt wird. Ohne entsprechende Kletterhilfen müsste hier in einer Höhe von fast 6.000 m der fünfte und sechste Schwierigkeitsgrad geklettert werden. Die vorhandenen Fixseile und Steigleitern früherer Expeditionen sind in einem schlechteren Zustand, als wir angenommen haben. Entsprechend plagen wir uns.

Nach Durchsteigung dieser schwierigen Barriere errichten wir auf einem wahnsinnig exponierten Gratstück Lager II. Es erinnert mehr an einen Adlerhorst als an ein Camp.

Das dann folgende steile und mehr als 600 m hohe Eisfeld gilt es nun mit Seilen abzusichern. An dessen Ende wird auf ca. 6.800 m das Lager III platziert.

Am 9. Juni steigen wir zu fünft bei Sonnenschein, aber starkem Sturm, zu diesem Lager auf. Als wir ankommen, klagt einer unserer Kameraden über Schmerzen an den Zehen. Die Ursache ist bald festgestellt: Die Zehen sind schwarz, weil erfroren. Unser Freund muss sofort ins Basislager und wegen der großen Infektionsgefahr zurück in die Heimat. Für ihn ist die Expedition zu Ende. Wir steigen mit ihm wieder ab in den Adlerhorst - Lager II genannt - .

Da es am nächsten Tag schneit, können wir erst am übernächsten Tag wieder ins Lager III aufsteigen, um dort zu übernachten. Wir sind entschlossen, unser letztes Lager in der sogenannten Bazhinmulde zu errichten. Dementsprechend schwer sind unsere Rücksäcke (Zelte, Kocher, Gaskartuschen, Verpflegung, Reservekleidung etc.) Am frühen Morgen ziehen wir los. Die vor uns liegende Querung bis zum Beginn der Bazhinmulde ist nicht nur sehr lang, sondern auch ausgesprochen lawinengefährlich. Mit riesigen Rucksäcken spuren wir im oft hüfttiefen Schnee. Unter geradezu übermenschlichen Anstrengungen quälen wir uns nach oben. Wir haben Angst, unablässig Angst vor Lawinen.

Dann wird auch noch das Wetter schlecht. Im Nebel steigen wir Stunde um Stunde weiter und erreichen die Kante der Bazhinmulde und damit auch das Ende der extremen Schwierigkeiten der Diamirflanke. Längst ist uns klar, dass wir es heute bestimmt nicht schaffen, das geplante Lager aufzustellen. Zu schlecht sind die Verhältnisse, grundlos der Schnee.

Am Rand der Bazhinmulde in einer Höhe von ca. 7.100 m graben wir unter einem Felsen eine Schneehöhle und deponieren dort die zur Errichtung des Lagers und für den weiteren Aufstieg notwendigen Dinge.

Wegen der großen körperlichen Anstrengungen beschließen wir, am nächsten Tag zur Regeneration abzusteigen.

Am Felseck, wir sind sicher, bald im Lager I zu sein, müssen wir plötzlich feststellen, dass alle von den Japanern angebrachten Fixseile fehlen. Eine riesige Eislawine aus dem mehrfach genannten Eisbruch hat die ganze Schneeauflage des unteren Teils der Löw-Eisrinne und damit auch alle Fixseile ins Tal gerissen. Dadurch wird der letzte Teil des Abstiegs eine mehr als heikle Angelegenheit im blanken Eis und, weiter unten, in einem Chaos von Eisblöcken. Gott sei Dank war auch dieses Mal niemand im betroffenen Abschnitt unterwegs, sonst ...

Trotz aller unvorhergesehenen Widerwärtigkeiten sind wir mit unserer Arbeit und deren Ergebnis zufrieden. Wir haben bis zum Rückmarsch, der für den 28. Juni vorgesehen ist, noch mehr als zwei Wochen Zeit und die eigentlichen Schwierigkeiten der Diamirfllanke hinter uns. Wir müssen nur noch auf besseres Wetter und unsere Gipfelchance warten.

Die nächste Woche bringt schlechtestes Wetter und unvorstellbare Neuschneemengen, die den ganzen Gletscherkessel der Diarmirseite in ein Lawineninferno verwandeln.

Als wir am 22. Juni zu einem neuerlichen Aufstieg rüsten, erreicht uns ein Funkspruch, dass im Lager II mehr als 1 m Neuschnee liege und unsere Zelte entweder zerstört oder schwer beschädigt seien.

Jetzt wird uns klar, dass die noch zur Verfügung stehenden Tage kaum mehr ausreichen, zu einem Gipfelerfolg zu kommen. Zu gefährlich ist der Aufstieg in der tief verschneiten Flanke. Hinzu kommt noch, dass aus der Bazhinmulde, die wir ursprünglich für wenig gefährlich gehalten haben, riesige Lawinen über die Flanke fegen.

Wir müssen zurück und können die Expedition nicht verlängern, denn fast alle von uns ruft ihre berufliche Pflicht. Wir ziehen, wenn auch grollend, das Diamirtal hinaus, aber sicherlich ist jeder von uns im Inneren dankbar, die ungeahnten Gefahren lebend überstanden zu haben.

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