Manaslu 8.163 m
- mein erster 8000er |
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Nachdem ich bereits mehrere 5.000er, 6.000er und einen 7.000er bestiegen hatte, wollte ich einen Berg der 8.000er-Kategorie versuchen. In der Zwischenzeit wusste ich, dass es schwierig war, eine Genehmigung des zuständigen nepalesischen Ministeriums zu bekommen. Wie damals üblich, bat auch ich die Amerikanerin Liz Hawley, die seinerzeit Reuters-Korrespondentin in Kathmandu war und die auch jetzt noch als die umfassendst informierte Himalaya-Kennerin gilt, um Unterstützung im Genehmigungsverfahren. Traumziel wäre natürlich der Mt. Everest gewesen, aber vor dem höchsten Berg der Erde hatte ich zuviel Respekt. Im übrigen waren damals schon auf 5 Jahre im voraus Genehmigungen erteilt und ich dachte, dann werde ich wohl zu alt sein. So konzentrierte sich mein Interesse auf den Cho Oyo, da dessen Basislager von Kathmandu aus am einfachsten erreichbar zu sein schien. Dieser erste Versuch, eine Genehmigung zu bekommen, schlug gründlich fehl. Das Ministerium ließ mir mitteilen, dass die VR China mit Befremden festgestellt habe, dass der Aufstieg teilweise über tibetisches Territorium erfolge, weswegen der Cho Oyu auf die Liste verbotener Berge gesetzt worden sei. Der nächste Versuch stand an. Nach Abwägung aller Für und Wider fiel die Wahl auf den Manaslu, für dessen Besteigung ich nach etlichen Rückschlägen und vielen Bemühungen schließlich die Genehmigung bekam. Der Manaslu hatte damals erst drei Besteigungen. Im Jahre 1956 erreichten Teilnehmer einer japanischen Großexpedition erstmals den Gipfel über die Nordostflanke. Das zweite Mal wurde der Manaslu über die Westseite ebenfalls von Japanern bestiegen. Die dritte Besteigung erfolgte im darauffolgenden Jahr über die Südwand bzw. Westflanke durch eine österreichische Expedition. Reinhold Messner war am Gipfel. Zwei Teilnehmer, die mit ihm aufgebrochen waren, fanden auf dem Gipfelplateau den Tod. Außer diesen drei erfolgreichen Unternehmungen hatten in den Jahren 1971 und 1972 zwei koreanische Expeditionen versucht, die Besteigung über die Nordostflanke durchzuführen. Beide Expeditionen sind gescheitert. Die Versuche haben 16 Menschenleben gefordert. Auch wir wollten über die Nordostflanke den Gipfel erreichen. Ein Vorhaben, das angesichts der vielen Menschenopfer nicht ungefährlich war. Unser Team bestand aus 8 Teilnehmern, einschließlich Expeditionsarzt und meiner Frau Hannelore, die damals noch keine Gipfelambitionen hatte, aber uneingeschränkte Herrscherin der Versorgungslogistik war. Am 6. März 1973 verlassen wir Kathmandu. Für den etwa 200 km langen Anmarsch, der landschaftlich einmalig schön ist und lange Zeit in der spektakulären Schlucht des Buri Gandaki verläuft, brauchen wir 2 Wochen. Mehrmals haben die Träger gestreikt, doch schließlich erreichen wir im Schneetreiben den Platz für das Basislager. Er liegt am Ende des Manaslu-Gletschers auf ca. 3.900 m. Für einen 8000er ist das niedrig. Noch über 4.200 Höhenmeter trennen uns vom Gipfel. In den folgenden Wochen wechselt teils gutes Wetter mit Schlechtwetterperioden ab. Oft schneit es tagelang unaufhörlich. So fallen, während wir am Berg sind, insgesamt nahezu fünf Meter Neuschnee. Dies erhöht die ohnehin extremen objektiven Gefahren. Häufig rasen riesige Lawinen über die Wand. Die widrigen Gegebenheiten kosten nicht nur enorme physische Kräfte, sie belasten auch die Psyche in kaum vorstellbarer Dimension. Trotz der abscheulichen Wetterverhältnisse gelingt es uns über ein Zwischenlager (ca. 4.900 m) auf etwa 5.600 m im sogenannten Naike Col ein vorgeschobenes Basislager einzurichten. Jetzt liegt die Nordostflanke, in der schon so viele Menschen ihr Leben lassen mussten, direkt vor uns. In der Folgezeit beschäftigt uns diese Wand unablässig, wenn auch mit wechselndem Erfolg. Allen Widerwärtigkeiten zum Trotz erreichen wir schließlich am 4. April erstmals das North Col, die tiefste Einschartung zwischen dem North Peak und dem Manaslu. Über uns erhebt sich ein steiler Eisbruch, den Hannelore wegen seiner typischen Form "Amboss" getauft hat. Er vermittelt den Durchstieg zu einem Plateau, dem der lange Gipfelgrat folgt. Leider werden wir dann wieder von Schlechtwetter und riesigen Neuschneemengen zum Absteigen und Nichtstun verurteilt. Eine Wetterbesserung benutzen drei unserer Kameraden, um vom Naike Col über ein Zwischenlager in zwei Tagen zum North Col aufzusteigen. Als am Morgen des 15. April das Wetter immer noch gut ist, brechen sie auf. Sie wollen nach Überwindung des Ambosses auf etwa 7.500 m das letzte Lager aufstellen. Am nächsten Tag soll der Gipfel versucht werden. Sigi Hupfauer und ich sind im vorgeschobenen Basislager am Naike Col (ca. 5.600 m) und sehen zunächst unseren Kameraden mit Ferngläsern zu. Die Mittagszeit bringt eine rapide Wetterverschlechterung. Wir können unsere Kameraden nicht mehr sehen, nehmen jedoch an, dass sie umgekehrt seien. Plötzlich am Spätnachmittag melden sie sich per Funk und berichten, dass sie zwei Zelte aufgestellt haben. Sie wollen oben bleiben. Während der Nacht wird der Sturm zum Orkan. Am frühen Morgen funken unsere Kameraden wieder. Das Toben des Sturms macht eine Verständigung fast unmöglich. Es besteht kein Zweifel, an einen Gipfelgang ist nicht zu denken. Unvorstellbare Neuschneemengen fallen. Unter kaum zu beschreibenden Umständen gelingt unseren Kameraden der Abstieg. Alle haben mehr oder minder schwere Erfrierungen. Außerdem hat die entsetzliche Sturmnacht gepaart mit der ungeheuren Lawinengefahr während des Abstiegs unseren Freunden moralisch schwer zugesetzt. Keiner von ihnen will nochmals in den Eisbruch einsteigen. Dann waren's nur noch zwei - Sigi und ich. Verstärkung bekommen wir, weil der Sherpa Urkien mit uns gehen will. Er war, ebenso wie wir, auch noch nie auf einem 8.000er. Am Gründonnerstag, dem 19. April, gehen wir schließlich los. Drei Tage kämpfen wir unter ständiger Lawinengefahr mit Schnee, Eis und Fels bis wir am Nachmittag des Karsamstag, das von unseren Kameraden errichtete Lager auf ca. 7.500 m erreichen. Unsere Stimmung sinkt auf den Nullpunkt, als wir uns richtig umsehen. Wir finden ein völlig zerstörtes Zelt, das wohl von der abgebrochenen koreanischen Expedition des Jahres 1971 stammt. Eines der beiden von unseren Kameraden aufgestellten Zelte ist vom Sturm total zerfetzt. Damit bleibt uns nur ein winziges Zweimannzelt. Inzwischen hat es auch noch zu schneien begonnen. Sturm kommt auf, und wir stehen ratlos vor den Trümmern des Lagers. Angesichts der miesen Situation scheint auch Urkien nicht bleiben zu wollen. Er nimmt seinen Rucksack auf und will zurückgehen. Auch mir ist alles andere als nach Gipfelsturm zumute. Nur Sigi kann sich nicht zum Rückzug entschließen. Nach einer kurzen Unterhaltung werden wir einig, zu dritt in dem verbliebenen kleinen Zelt zu bleiben. Schließlich richten wir uns für die Nacht ein. Wir liegen in unserem winzigen Zelt wie die Ölsardinen. An Schlaf ist angesichts der großen Kälte und des orkanartigen Sturmes nicht zu denken. Als es am Morgen des Ostersonntags dämmert, können wir uns nicht entschließen, aufzustehen. Das Wetter ist nicht gut, und so dösen wir bis etwa 6 Uhr. Als wir dann aufstehen, ist es an sich schon zu spät. Trotzdem treffen wir unsere Vorbereitungen, doch alles nimmt wahnsinnig viel Zeit in Anspruch. Die Ursache hierfür ist nicht nur die sauerstoffarme Luft. Es ist wahnsinnig kalt. Außerdem ist die körperliche Verfassung nach einer solchen Nacht nicht die beste. Als wir endlich abmarschbereit sind, ist es 9 Uhr am Ostersonntag, dem 22. April 1973. Der vor uns liegende Aufstieg ist lang und beschwerlich. Unsere Sorge ist einzig und allein - hält das Wetter? Gegen 14 Uhr kommen wir zum Gipfelaufbau. Das Wetter ist miserabel, und vor uns erheben sich einige mit Fels durchsetzte Gipfel. Urkien will auf den nächstgelegenen und sagt uns, dass er anschließend absteigen möchte. Er meint, wir hätten dann unser Ziel erreicht. Anders jedoch wir: Sigi und ich lassen keinen Zweifel aufkommen, dass wir den höchsten, den am weitesten entfernt liegenden Gipfel erklettern wollen. Nachdem Urkien mehrmals seinen Wunsch durch den Hinweis "so many people died here" ohne Erfolg Nachdruck zu verleihen versucht, bleibt er schließlich bei uns. Nach einer Stunde erreichen wir dann endlich den höchsten Punkt. Wir sind auf dem höchsten je von Deutschen erstiegenen Gipfel. Wir freuen uns riesig über den Erfolg, aber nicht überschwänglich, sondern ganz still und leise. Wir haben Sorge mit dem Wetter und noch viel zu viel vor uns, um jubeln zu können. Gleich nach Beginn
des Abstiegs kommen wir zu allem Überfluss noch in ein schweres Höhengewitter.
Tiefschwarze Wolken sind am Himmel und es wird fast dunkel. Zuckende Blitze
und krachender Donner lassen echte Todesangst aufkommen. Um den Blitzen
weniger ausgesetzt zu sein, legen wir uns mit einigem Abstand zu unseren
surrenden Pickeln flach wie Flundern aufs Eis. Das Gewitter zieht weiter,
die Strapazen bleiben. Der Weg scheint kein Ende zu nehmen. Nach etlichen
Stunden kommen wir todmüde am Lagerplatz an. Sigi meldet unseren
Kameraden per Funk: "Der Manaslu ist unser". Die folgende Nacht
gleicht der vorhergegangenen. Orkanartiger Sturm lässt uns nur minutenweise
schlafen. Am nächsten Tag steigen wir in einem Zug fast 2.000 Höhenmeter
ab, immer die Gefahr von Lawinen und Eisschlag vor Augen bis wir am späten
Nachmittag das Naike Col und unsere Kameraden erreichen. Jubelnd werden
wir empfangen. Erst jetzt wird uns der große und kaum mehr erwartete
Erfolg richtig bewusst.
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