Kap Hoorn - Cabo de Hornos

 

Der Name dieser kleinen Insel (etwa 6 km lang und 2 km breit) ist synonym für den südlichsten Punkt der bewohnten Kontinente. Das Kap hat im Jahr 1616 der Holländer Willem Schouten entdeckt und nach seinem Heimatort Hoorn im holländischen Teil Flanderns benannt.

Bis Ende des 18. Jahrhunderts haben dort noch die Yaghanen, ein indianischer Stamm von unglaublich seetüchtigen Wassernomaden im eiskalten Wasser gepaddelt, gefischt und nach Muscheln getaucht. Kap Hoorn war der Endpunkt der vieltausendjährigen Wanderung indianischer Völker, die in grauer Vorzeit von Ostasien kommend, die Bering-Straße überschritten und von Alaska aus den gesamten amerikanischen Kontinent durchquerten. Mehr als 20.000 km (Luftlinie) haben die mongolischen Völker bis zur letzten Felsspitze Südamerikas hinter sich gebracht.

Kap Hoorn war bis hinein ins 19. Jahrhundert, bevor die ersten wissenschaftlichen Stationen in der Antarktis entstanden sind, der äußerste Vorposten menschlichen Lebens. Hier war das Ende der Welt.

Bis zur Fertigstellung des Panamakanals (1914) mussten Handelsschiffe, die vom Atlantik in den Pazifik wollten, jahrhundertelang das wegen seiner orkanartigen Stürme berühmte und berüchtigte Kap Hoorn umschiffen. Seine Koordinaten 55°58'30" südlicher Breite und 67°17' westlicher Länge kannten Generationen von Seeleuten auswendig. Unmöglich ist es, auch nur ungefähr die Zahl jener Schiffe zu nennen, die am Kap und rings um Feuerland herum, den Naturgewalten zum Opfer fielen. Jahr für Jahr sind am Kap auch Schiffe verschwunden, die als besonders seetüchtig galten.

Heutzutage ist die Umrundung von Kap Hoorn, an dem die Stürme immer noch wie ehedem wüten, eine Herausforderung für Extremsegler. Auch wenn ich nie daran gedacht habe, meine Liebe zu den Bergen könnte durch die von den riesigen Ozeanen ausgehende Faszination ersetzt werden, haben die Weite der Meere und ihre monumentale Kraft auf mich schon immer eine magische Anziehungskraft ausgeübt. Doch nie hatte ich Zeit und Gelegenheit dieser Verlockung nachzugeben.

Ein alter Freund von mir, der Ulmer Zahnarzt Werner Schmid, selbst ein erfahrener Navigator und Hobbyskipper, wusste um meine verborgene Neigung und hat mich mehrmals zu Mittelmeertörns eingeladen. Doch es hat aus irgendwelchen Gründen nie geklappt, bis er mich im Juni 1987 wissen ließ, es gäbe eine Gelegenheit mit einer Yacht von Ushuaia aus ums Kap Hoorn zu segeln. Dieser Gedanke hat mich begeistert. Wir kümmerten uns um zwei weitere Teilnehmer. Werner fand einen Segelkameraden und ich, wie könnte es anders sein, einen Freund aus der Bergsteigerzunft, den Allgäuer Udo Zehetleitner.

Wir charterten die Segelyacht KSAR, eine für die rauen südlichen Meere konzipierte Stahlketch (Joshua) mit einer Länge von 12 m. Eigner der Yacht und deren Skipper ist der in Ushuaia lebende Franzose Jean Paul Passaget, ein auf allen Weltmeeren erfahrener Seemann. Er war 10 Jahre lang Kapitän der Calypso, dem Schiff des Ozeanforschers Jacques Y. Cousteau. Als Bordfrau arbeitet eine Deutsche. Als solche ist sie verantwortlich für unser leibliches Wohl.

Am 25. Oktober 1987 verlassen wir an Bord der KSAR um die Mittagszeit den Hafen von Ushuaia, das nach argentinischen Angaben die südlichste Stadt der Welt ist. Wir segeln im Beagle Kanal nach Osten durch eine grandiose Landschaft. Nach fünf Stunden erreichen wir Puerto Williams, das am südlichen Kanalufer auf der Insel Navarino liegt und das nach chilenischer Lesart ebenfalls die südlichste Stadt der Welt ist. Hier müssen wir bleiben, um in Chile einzuklarieren. Wir legen an dem auf Grund gesetzten alten Dampfer Micalvi an. Er wurde vor langer Zeit einmal als Rheindampfer in Deutschland gebaut, später an Chile verkauft, wo er als Munitionsboot verwendet wurde, bis er hier gelandet ist. Ein chilenischer Marineoffizier kommt an Bord, prüft die Papiere und stempelt unsere Pässe. Als er mich fragt, was ich von Beruf sei und ich wahrheitsgemäß mit "notario" antworte, meint er lachend "oh, secretario pirata". Ein lustiger, wenn auch nicht besonders freundlicher Empfang.

Als wir am nächsten Tag bei schwerer See auslaufen, wissen wir noch nicht, dass wunderschöne, erlebnisreiche und unvergessliche Tage vor uns liegen. Wir segeln vorbei an den Inseln Gable, Snipe und Picton und bleiben in Puerto Toro, einem winzigen Fischerhafen an der Ostküste von Navarino. Fischer bringen die uns bislang nicht bekannten Centollas fangfrisch an Bord. Es sind Riesenkrabben und nach Meinung von Seafood-Experten die wohlschmeckendsten Meeresfrüchte überhaupt. Bezahlt wird mit einigen Flaschen Rotwein.

Weiter passieren wir die Insel Lennox, überqueren bei stürmischen Wetter die 40 km breite Bahia Nassau in Nord-Süd-Richtung und laufen Kap Ross an, das an der Nordspitze der Insel Wollaston liegt. Die Fahrt entlang der Ostküste der Insel Wollaston ist einmalig. Steile Felszacken, tief eingeschnittene Buchten und Fjorde wechseln einander ab. Über den engen Kanal Bravo erreichen wir die Insel Herschel und bleiben in der Caleta Martial, deren gelber Sandstrand an die Südsee erinnert, auch wenn das Wasser eiskalt ist. Am Abend gehen wir an Land und grillen am Lagerfeuer Steaks - im Spanischen heißt eine solche Fete "Asado".

Am 29. Oktober ist es dann soweit. Die Insel Hornos, das Kap, ein über 400 m hoher Berg, dessen Felsflanken nach Süden steil abbrechen, taucht auf. Bei stürmischer See, aber gutem Wetter, segeln wir um die ganze Insel und kehren zurück in schöne Caleta Martial. Tags darauf geht es abermals zum Kap. Jetzt ankern wir und steigen hoch zur winzigen chilenischen Militärstation. Wir werden überaus freundlich empfangen.

Das Ziel ist erreicht, die Anspannung gewichen und so genießen wir die Rückfahrt fast noch intensiver, zumal sich herausgestellt hat, dass mich keinerlei Symptome der Seekrankheit plagen. Wir bleiben u.a. zwei Tage in der einmalig schönen Bahia Hately, die heutzutage, ebenso wie viele andere Buchten, von der chilenischen Marine zum Sperrgebiet erklärt ist. Wir haben Zeit und lassen uns auch Zeit. Auf fast allen angelaufenen Inseln steigen wir auf einen Berg in der Umgebung des Ankerplatzes und machen mit der südlichen Vegetation, die geradezu undurchdringlich ist und darin dem tropischen Dschungel in nichts nachsteht, nachhaltig Bekanntschaft.

Zurück in Puerto Williams sind wir wegen des schlechten Wetters einige Tage zum Nichtstun verdammt. Aber dann wird es schön. Die Dientes de Navarino, eine Flucht steiler Felsspitzen, die das Bild von Puerto Williams und unserer Bucht dominieren, stechen uns ins Auge. Udo und ich wollen einen Versuch starten. Jean Paul, früher auch schon bergsteigerisch unterwegs, schließt sich an. In weiser Voraussicht haben wir genügend Ausrüstung dabei.

Am ersten Tag quälen wir uns viele Stunden weglos durch Urwald, bis wir schließlich auf etwa 400 m einen wunderschönen Platz finden. Vor uns ein See, auf dem ein Biber seine Bahn zieht. Unsere Anwesenheit beeindruckt ihn keineswegs. Ob er jemals auf Menschen getroffen ist? In einiger Entfernung strahlen die eindrucksvollen Flanken der Dientes im Abendlicht. Wir stellen unser kleines Zelt auf und dünken uns im Paradies.

Zeitig stehen wir auf und gehen los. Immer wieder hält uns undurchdringlicher Dschungel auf. Drei Seen müssen wir umgehen. Die beiden letzten sind noch zugefroren, aber wir trauen der Eisdecke nicht. Der Schnee ist tief und weich. Hart ist nur die Spurarbeit. Wir fürchten die drohende Lawinengefahr. Pessimismus macht sich breit. Trotzdem versuchen wir die direkteste Route. Der Anstieg wird immer steiler. Der Schlusshang hat eine Neigung von fast 50°. Kurz nach Mittag erreichen wir am 12. November 1987 den ca. 1.200 m hohen Hauptgipfel. Mit einem phantastischen Ausblick werden wir belohnt. Nicht weniger als drei Kondore kreisen um und über uns.

Auch wenn die noch vorhandene Verpflegung kaum ausreicht, unseren Heißhunger zu stillen, übernachten wir nochmals in unserem Zelt. Zu schön ist dieser Platz. Am nächsten Nachmittag erreichen wir das Schiff und noch in der Nacht segeln wir zurück nach Ushuaia.

Dort verbleibt uns noch ein voller Tag. Den nutzen wir. Udo, Jean Paul und ich erklettern den Monte Olivia (ca. 1.600 m), einen steilen Felszahn, der das Wahrzeichen von Ushuaia ist. Mit einem Taxi fahren wir zum Beginn einer Schlucht, die den Aufstieg vermittelt. Dann folgen wir einem Bachbett, erreichen eine unangenehme Geröllhalde und danach einen Abschnitt, der mit riesigen Moospolstern bewachsen und unglaublich steil ist. Zum Schluss kommt ein heikler Felsgrat mit Schwierigkeiten bis zum 4. Grad. Der Gipfel ist so klein, dass wir kaum Platz für eine Rast finden. Entschädigt aber werden wir durch eine grandiose Aussicht auf das unberührte Feuerland und den Beagle Kanal.


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