Amnye Machen 6.282 m

 

Im Jahr 1981 wurden von den Chinesen erstmals Genehmigungen zur Besteigung des Amnye Machen erteilt. Dieser liegt in der selten besuchten Provinz Qinghai. Mit 6.282 m ist er der höchste Berg der gleichnamigen Gebirgskette, die ein Teil des längsten asiatischen Gebirgssystems Kunlun Shan ist, das sich in Ost-West-Richtung mit einer Länge von 3.000 km nördlich von Himalaya und Transhimalaya erstreckt.

Ein bis dahin noch unbestiegener 6.000er, wenn das keine Herausforderung ist. Expeditionsleiter sollte Sigi Hupfauer sein, mit dem ich schon oft unterwegs war. Mein Freund Peter Vogler und ich wollten mit von der Partie sein.

Zunächst fliegen wir nach Peking und dann mit einer alten russischen zweimotorigen Propellermaschine nach Xining, der Hauptstadt der Provinz Qinghai. In dieser Großstadt scheinen wir die einzige Sehenswürdigkeit zu sein. Seit fast 40 Jahren waren hier keine Weißen mehr. Man bestaunt unsere Hautfarbe, unsere kräftigen Bärte und, wie die Chinesen sagen, unsere gelben Haare. Wo immer wir auch unterwegs sind, folgt uns eine ganze Menschentraube.

In zwei Tagesetappen von etwa je 300 km werden wir von einem hoffnungslos untermotorisierten Bus nach Dawu gebracht. Über zahlreiche Pässe, die uns in Höhen bis 4.700 m führen, quält sich unser Vehikel täglich über 12 Stunden auf ungeteerten Straßen. Wir haben ausreichend Gelegenheit, die landschaftlichen Schönheiten zu bestaunen. Dann geht es mit einem allradbetriebenen LKW ins Gelände. Auf kaum sichtbaren Pisten fahren wir über hohe Pässe und durch reißende Flüsse, bis wir nach etwa 6 Stunden unser Ziel, die sogenannte Schneeberg-Kommune, erreichen. Eine Fahrt durch eine herrliche und unberührte Landschaft, die wir so schnell nicht vergessen werden.

Jetzt kommt der zweitägige Anmarsch mit Lasttieren. Er beginnt mit dem üblichen Gefeilsche, welches Gewicht die Tiere tragen können, wie viele Treiber notwendig sind und wie viel Lohn sie zu bekommen haben. Wie immer ist auch dieses Mal ein Kompromiss die Lösung.

Während der erste Anmarschtag ohne Zwischenfälle verläuft, kann man das vom zweiten nicht behaupten. Unterwegs kommen uns Mitglieder einer japanischen Expedition entgegen. Sie waren bereits am Gipfel. Damit erledigt sich unsere Hoffnung auf eine Erstbesteigung. Wir tragen es mit Fassung, unserer guten Laune tut es keinen Abbruch. Vielleicht lacht uns einige Tage später auch das Gipfelglück.

Ein Irrtum des uns begleitenden "ortskundigen" Chinesen trifft uns schmerzlicher. Er schickt uns auf die falsche Talseite. Ein stattlicher Umweg ist die betrübliche Folge. Als wir am Abend reichlich müde das Basislager (4.450 m) erreichen, verlässt uns zu allem Überfluss auch noch das bisherige Wetterglück. Es schneit, nicht nur die ganze Nacht, sondern auch noch den nächsten Tag. Tiefer Neuschnee überall. Eine leichte Wetterbesserung genügt und wir werden wieder aktiv. Aber dicke Nebelschwaden erschweren uns die Orientierung. Lange dauert es, bis wir wenigstens einmal die grobe Richtung unseres Weiterwegs ausmachen können. Immer wieder werden unsere Spuren zugeweht.

Schließlich gelingt es uns nach Tagen am Fuß eines Felspfeilers (ca. 5.050 m) ein Depot einzurichten und nach einem weiteren Schlechtwettertag, der uns ans Basislager fesselt, auch noch einige Zelte aufzustellen. Nach der ersten Nacht im Hochlager bessert sich endlich das Wetter.

Über einen steilen, etwa 400 m hohen Felspfeiler erreichen wir mit schweren Rucksäcken nach heikler Kletterei im tiefverschneiten Fels einen sehr exponierten langen Eisgrat. An dessen Ende (etwa 5.600 m) richten wir am Fuß einer steilen Eiswand ein Depot ein und kehren zurück. Da das Wetter gut bleibt, steigen wir nochmals über dieselbe Route auf und stellen nach Überwindung der steilen Eiswand und Auflösung unseres Depots auf 5.700 m wieder unsere kleinen Zelte auf. Nach einer kurzen Nacht beginnen wir schon um 3 Uhr morgens unser Tagewerk. Schneeschmelzen ist angesagt. Um 6 Uhr gehen wir schließlich los. Über einen steilen Pfeiler erreichen wir nach etwa 1 ½ Stunden den Südgrat. Ein langer Weg liegt vor uns. Über drei Vorgipfel, alle höher als 6.000 m, geht es in stundenlangem Auf und Ab dem Ziel entgegen. Gegen Mittag des 10. Juni 1981 erreichen wir dann den Gipfel, allerdings nicht mehr als Erstbesteiger. Aber das tut unserer Freude über den großen Erfolg keinen Abbruch.

<< zurück